T OV E R I E – Hexenwahn und Aberglaube
Dokumentation der Künstlerischen Aktion zur öffentlichen Rehabilitierung der in Flensburger Hexenprozessen Verurteilten vom 30. April 2017
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Erinnerungsveranstaltung 2018: AUFRECHT wider UNRECHT
Im 16. und 17. Jahrhundert fanden in Flensburg mindestens 13 Hexenprozesse statt. In diesen wurden 31 Menschen, mehrheitlich Frauen, willkürlich der „Toverie“ (Zauberei) bezichtigt, durch Folterung zu Geständnissen gezwungen und in 75% der Fälle zum Feuertod verurteilt und hingerichtet. Dokumentiert sind die Fälle bis 1608 im „Roden Boeck“ der Stadt und dem „Diarium Flensborgense“, wo der letzte belegte Fall einer Hinrichtung durch Verbrennen im Jahr 1620 festgehalten ist.
Auf einem Rundgang durch die Innenstadt am 30. April 2017 wurden unter der Leitung der Künstlerinnen Hanna Kalkutschke und Elke Mark Orte der damaligen Prozesse aufgesucht und Hintergründe der Hexenverfolgung näher betrachtet. Anschließend fand eine öffentliche Rehabilitierung der Opfer auf dem Museumsberg statt.
Die Aktion wurde von Carmen Rahlf, Pröbstin des Evang.-luth. Kirchenkreises Schleswig-Flensburg, unterstützt, um einen Dialog voranzubringen, der Menschen in ihrem Gerechtigkeitsempfinden sensibilisiert.
Sündenbocksuche und Ausgrenzung gehören nicht der Vergangenheit an, sie fordern stetige Auseinandersetzung in der Gesellschaft. Um eine aktive Erinnerungskultur anzustoßen und zu einer Form der heilsamen Auseinandersetzung zu finden, schlagen wir wiederkehrende Veranstaltungen an einem jährlichen Gedenktag und einen speziell gestalteten Erinnerungsort vor.
Der schriftlich eingeforderte Schritt zur offiziellen Rehabilitierung der Verurteilten durch den Magistrat der Stadt Flensburg steht noch aus.
Ansprache Pröbstin Carmen Rahlf
Liebe interessierte und bewegte Teilnehmer_Innen,
einen ausführlichen Weg sind wir nun gemeinsam gegangen auf den Spuren der Frauen und Männer, die vor 400 Jahren und früher in unserer Stadt großes Unrecht und Leid erlitten haben, in dem sie als Zauberinnen und Hexen verfolgt, gefoltert, angeklagt, öffentlich zur Schau gestellt, demütigt, und hingerichtet wurden.
Ich danke Elke Mark und Hanna Kalkutschke für die Mühen, die Energie, die Kreativität, die Überzeugungskraft, die sie als Initiatorinnen in diesen Weg gesteckt und ihn entwickelt haben, um unser Bewusstsein für dieses Unrecht zu schärfen und diese Frauen und Männer, aber vor allem handelt es sich um Frauen (und das ist kein Zufall!!) aus der Ecke der Verteufelung, der Diskriminierung, der Entwürdigung und des Vergessens zu holen und ihrer auch offiziell als BürgerInnen unserer Stadtgeschichte, denen in dieser Stadt übel mitgespielt wurde von den Oberen des Magistrats und der Kirche, aber auch von Nachbarn und Mitbürgern zu gedenken.
Ich gehe diesen Weg heute mit als Vertreterin einer Kirche, die sich schuldig gemacht hat, die nichts oder viel zu wenig unternommen hat, um die Frauen zu schützen, für ihre Würde und Recht einzutreten. Das Gegenteil wird der Fall gewesen sein. Sie hat diese Mitglieder ihrer Kirche den Verdächtigungen und Beschuldigungen Preis gegeben, ja sie (vermutlich) sogar selbst beschuldigt und verdächtigt, weil die Lebensphilosophie und Lebensweise nicht in ihr Weltbild passte und mit Sicherheit auch die von männlichen Interessen beherrschte kirchliche Obrigkeit und Pastorenschaft gestört hat.
Auch unsere reformatorische Kirche hat es zumindest unterlassen, die Stellung der Frauen und insbesondere dieser Frauen, die in besonderer Weise kundige Frauen waren zu stärken. Im Gegenteil sie hat die Demontage dieses Wissens in den Händen der Frauen und deren Untergang auch aktiv betrieben.
Die Reformation hatte es nicht geschafft ihren Aberglauben an Hexenzauber zu überwinden und die Verantwortung für viele Begebenheiten dieser Zeit, dem Teufel und seinen angeblichen Verbündeten anzulasten. (Da waren insbesondere die kleine Eiszeit, die es in dieser Zeit gab, die für schlechte Ernten und Hunger verantwortlich war, da war die Wiederkehr der Pest und ihrer Folge viele Seuchen. Es gab viel Krankheiten, Armut, Religions- und Eroberungskriege und eine Verunsicherung in der Religion mit Reformation und Gegenreformation u.e.m.) Nicht zu vergessen, das in dieser Zeit das magische Denken in allen Bereichen das Leben der Menschen bestimmte sowohl positiv wie auch negativ. Eine Entschuldigung für das Leid, dass den Menschen angetan wurde kann es nicht sein, eine Klärung zu den Lebensumständen der Menschen damals vielleicht.
Der Sonntag heute heißt Misericordia domini. Die Barmherzigkeit des Herrn/Gottes.
Das hebräische Wort für „erbarmen“ heißt „rachumin“. Es ist verwandt mit dem Wort für Mutterschoß und hat die gleiche Wurzel wie das Wort für „Mitgefühl“, „Mitleid“, „Erbarmen“ . Im hebräischen Wort „erbarmen“ spiegelt sich also zum einen eine frauenspezifische Gegebenheit des Mutterschosses wider und zum anderen die Haltung der werdenden Mutter zum wachsenden Leben in ihrem Schoß.
Auch das lateinische Wort „misericordia“ kann einen Zugang zum deutschen Wort „Erbarmen“ eröffnen: „miser – cor – dia“ = ein Herz für Arme (Schwache) haben; ein erbarmender Mensch hat ein Herz für Arme, für Notleidende und in Not Geratene.
Für die Frauen und Männer, derer wir gleich gedenken hat es diese Erbarmen nicht gegeben. Mit ihnen wurde erbarmungslos verfahren, als sie gefoltert, bestraft, ausgestoßen, um ihre Würde, ihre Existenzgrundlagen, ihr Leben gebracht wurden.
Mit Schaudern und Beschämung nehme ich war, was auch in unserer Stadt geschehen ist und wofür auch unsere Kirche und Obrigkeiten verantwortlich waren und sich an den Menschen schuldig gemacht haben.
Als Nachfahrin dieser Kirche und als eine in ihrem Glauben von Gott an die Barmherzigkeit Gemahnte und auf sie Vertrauende bekenne ich unsere Schuld und bitte um Vergebung und darum, dass das Schicksal dieser Frauen uns achtsam und wachsam macht für die Unbarmherzigkeiten unserer Tage, zu denen wir fähig sind. Dazu helfe uns göttliche Kraft und Weisheit.